Hans Günter Radmann Arts and Novel-Books
Pastell - Bleistift - Malerei - Romanautor


Das Tinikling Mädchen - Ein Drama um Flucht, Vergeltung und dem Ringen um einen Traum


Worum geht es bei unserer Hauptakteurin HIRAYA?


›Hiraya‹ ist die jüngste Tochter einer Farmersfamilie, die in der ›Visayas‹-Provinz lebt. Ich habe den Handlungsort in die Nähe gesetzt, wo meine Frau herstammt. Der Roman beschreibt die Verhältnisse, Rechte und Pflichten unter den Geschwistern, die sich aus deren Geburtsrangfolge ergeben und es wird deutlich, warum ›Hirayas‹ ältere Schwester ›Kezia‹ so dominierend, teilweise kalt und pragmatisch wirkt.


Warum kommt es zur Eskalation, die den Kern in Hirayas Geschichte bildet?


Als Hirayas Mutter stirbt, schafft es die Familie nur schwer, mit der Situation umzugehen. Als der Vater zu trinken beginnt und eine sexuelle Beziehung mit dem neuen Hausmädchen ›Dolores‹ eingeht, bricht für das konservative Mädchen eine Welt zusammen. Sie reagiert heftig in zweierlei Weise, was ihren Bruch mit dem Vater und die Flucht nach Manila auslöst.


Warum zieht Manila viele Menschen auf den Philippinen an?


In der Realität versuchen nicht wenige Menschen, in der Hauptstadt  finanzielle Sicherheit durch einen Job zu erlangen. Doch die Wahrheit zeigt, wie unerreichbar dies für viele ist. Zudem ist ›Hiraya‹ durch ihr Ziel, eine Volkstanz-Tänzerin im großen Stil werden zu wollen, für ihre Mitprotagonisten entweder nur verträumt, albern oder auch bewundernswert. Diese Thematik fand ich unglaublich spannend, besonders der Kampf einer Einzelgängerin in diesem Millionen-Moloch Großstadt.


Welche Charaktereigenschaften machen ›Hiraya‹ so interessant?


Ihr kindlicher Enthusiasmus hat in Wahrheit einen ernsten Kern. Sie sucht nach spirituellen Wahrheiten, weiß, dass die Bibel (wie auf den Philippinen üblich) etwas hat, was ihr Antworten liefern könnte. Ihr Drang, anderen helfen zu wollen, vermischt sich jedoch mit ihrer teilweise sehr krassen Unnachgiebigkeit. Die Geschichte erklärt anschaulich, warum ihre Kindheitsentwicklung diesen Charakterzug begünstigte. Der Leser wird ›Hiraya‹ durchaus liebhaben und sich am Ende der Story in Situationen wiederfinden, die in besonderer Weise aufrüttelnd sein werden.


FRAGE: Würdest du deinem Kontrahenten vergeben, der sich Minuten vorher mit einer Stichwaffe an dir rächen wollte und nur durch das Eingreifen einer Polizistin gestoppt werden konnte?


Wer ist ›Dolores‹? Nur die ›Bad-Lady‹?


Am Ende des Romans kommt es zu vielen Klarheiten über ›Dolores‹, die am Anfang wegen ihrer Sucht nach Intimität rasch abgeurteilt  werden könnte, ohne die Beteiligung von Hirayas Vater mit einzubeziehen. Doch sie ist keinesfalls dumm, was sich in der Story fortschreitend zeigen wird. Ich lege in meinen Büchern großen Wert darauf, dass Protagonisten ihr Herz nach und nach offenbaren und der Leser erfahren kann, was hinter den eigentlichen Handlungen für Vergangenheiten, Motive und Herzenszustände stecken.


Welche Rollen spielen Lokführer ›Jason‹, seine Frau ›Hilaria‹ und seine Familie?


Das ›Hiraya‹ erst nach einer schlimmen Odyssee erkennt, dass ihre völlig außergewöhnliche Begegnung mit dieser Familie zuvor der Schlüssel zu ihrem Ziel sein kann, macht ihr bewusst, dass sich ihr Leben drehen muss. Zwei verschiedene Charaktere prallen aufeinander: Die hitzige, junge Träumerin mit dem guten Herz dahinter und eine ehemalige ›Queen of Dance‹, die sich ihrer geistlichen Aufgabe und ihrer Familie verschrieben hat und mit ihrer Scharfsinnigkeit und Demut dem kleinen 'Vulkan' hilft, durch eigene Schlussfolgerungen zu erkennen, was für sie wirklich zählen muss.
Wer hat einen ungemein großen Part darin, Hirayas Herz zu erobern?
Die neunjährige ›Letizia‹, die Tochter ›Jasons‹ und ›Hilarias‹. Von Anfang an hat sie ›Hiraya‹ ins Herz geschlossen, unbekümmert und ohne Vorurteile. Es wird herzerwärmend... Ich sage nur: Unterschätzen wir niemals die Liebe und den Enthusiasmus eines Kindes.


Ist der beinahe tödliche Ausgang an der Bahnstrecke nicht nur Humbug?


Nein! In einer Reportage habe ich gesehen, das es solche Vorkommnisse an dieser Strecke in Manila gab. Die Züge dürfen in diesem Viertel tatsächlich max. 35 km/h fahren und ich habe Recherchen mittels Fachseiten über Bremswege etc. angestellt, bevor ich dieses Detail in den Roman aufnahm.


›Elaine‹ - ›Sol‹ - ›Pablo‹ - ›Paul‹ - ›Jenny‹ - ›Senora Remedios‹ - ›Officer Mariella‹ - ›Chief Pedro‹ - ›Gina‹ - ›Tante Mary Ann‹ - ›Sir Freddy‹ ...


Diese Protagonisten spielen wichtige Rollen, um ›Hirayas‹ Tragödie am Anfang und den Ausgang am Ende zu umkleiden. Nur so wird man dieses Mädchen überhaupt verstehen können. Ohne Begegnungen keine Interaktion der Hauptfigur, eine Unabdingbarkeit in jedem Roman. Werden Gewalt, Prostitution, Unkorrektheiten oder die Verzweiflung ›Elaines‹ in ein gutes Licht gerückt, nur weil man sie beschreibt?  Keinesfalls, wenn der Kontext so beschrieben ist, wie ich es wollte. Dennoch wird es Beschreibungen geben, die Empfindungen auslösen, wenn ›Hiraya‹ im letzten Moment ›Elaine‹ das Leben rettet oder die furchtbaren Ereignisse bei ihrem letzten Job als Dienstmädchen im Haushalt von ›Pablo‹ und ›Sol‹ miterlebt. Und hierbei wird ihre schönste Eigenschaft - hoffe ich - so wunderbar hervorgehoben, was ›Sol‹ zu einer hinreißenden Aussage bewegt: »Du kämpfst einen großen Kampf, aber du kannst ihn hier nicht gewinnen, weil du in einem Siedekessel bist.«
Daher möchte ich anmerken, dass Menschen mit Suizidgedanken oder Erfahrungen wegen häuslicher Gewalt beim Lesen vorsichtig sein sollten, weil ›Hiraya‹ solche Mitprotagonisten hat.


Der Titel? Geht es nicht um den Tinikling-Tanz?


Sicher. Ich liebe so viel an der Kultur der Philippinen. Ein hübsches Mädchen in einem handgewebtem ›Butterfly-Sleeve-Filipiniana‹-Kleid, die Musik, die Tagalog-Sprache, die ich gelernt habe, die Fröhlichkeit unter dem Druck großer Probleme, die entzückende Relaxtheit in der Provinz, und meine tolle Frau. Gründe genug, darüber zu schreiben. Ich beherrsche den Tinikling-Tanz nicht, aber anschauen mag ich ihn gerne.


Moment mal! Du schreibst als Fremder aus deiner Sicht über eine andere Kultur? Ist das legitim? Nicht zu gewagt?


Dieses Thema wird in Literaturkreisen zu Recht immer wieder diskutiert. Ich meine, ohne gründliches Einleben in die andere Gefühlswelt und kulturelle Identität ist ein solches Schreiben durchaus problematisch, weil alleinige Recherche über Informationen anderer nicht ausreichen könnte. Die Beschreibungen über die Eisenbahn oder die Schrittfolgen des Tiniklings kann ich natürlich so verfassen, aber die Gefühlswelt, Religiosität, die Bedeutung des Schamprinzips in der philippinischen Gesellschaft oder die uns manchmal fremdartigen Entscheidungsfindungen einzelner Figuren konnte ich nur durch mein intensives Erleben im Land und mit meiner Familie erfahren. Zudem musste ich lernen, in der Sprache zu ›denken‹ und bin froh, schon früh damit begonnen zu haben. Denn ›Hiraya‹ erlebt Dinge in einem Umfeld, die ein normaler Reisender mit einseitigem Erfahrungsschatz und der nicht vorhandenen Etabliertheit besser nicht ansprechen sollte. Ich habe mich selbst an die Zügel nehmen müssen, zum Beispiel, als das Mädchen im Buch nachts auf Sexarbeiter im Nightlife-Milieu trifft, die sie wegen ihrer teils kindlicher Unkenntnis veralbern oder sie in gefährliche Situationen gerät, aus denen sie sich nur mit entschiedenem oder gewaltsamen Handeln befreien kann.


Was? Du hast solche Dinge miterlebt und schreibst das auf?


Im Freundeskreis wurden solche Gedanken tatsächlich zum Ausdruck gebracht. Gut, das ich und meine Frau es besser wissen nach 30 Jahren loyaler, glücklicher Ehe. Romane seien ja immer autobiografisch und so weiter... Das ist falsch. Jeder Autor, der seine Kunst in fantasievoller Weise ausübt, kann kaum alle seine beschriebenen Dinge erlebt haben, er entwickelt Charaktere und Figuren zu einer Komposition, die eine Brücke zur Realität schlagen. In welchem Protagonisten würde ich mich auch persönlich wiederfinden wollen? Was mich mit den Geschichten verbindet, sind meine Lebensauffassungen, mein Glaube und Orte, die ich tatsächlich gesehen habe, nicht explizite Erlebnisse mit realen Menschen, die Dinge aus meinen Geschichten tun.


Warum sind meine Geschichten etwas dialoglastig?


Ich denke, Dialoge sind ein hoch wirkungsvolles Stilmittel im Schreibfluss. Es wird nur schlimm, wenn zu viel und mit nutzlosen Frage-Antwortfloskeln gearbeitet wird. Ich gebe zu, auch vom Kino und der Musik beeinflusst zu sein. Lebendige Kommunikation ist in dieser Kultur wichtig und vielleicht habe ich - zugegeben -  die Neigung, meine Geschichten als Film vor meinem geistigen Auge zu sehen.